Effi Briest
Oper von Iris ter Schiphorst und Helmut Oehring
Inszenierung und Bühne: Ulrike Ottinger
Iris ter Schiphorst und Helmut Oehrings Oper Effi Briest ist nach dem Prinzip der Parallel-Montage komponiert. Diese Form ermöglicht, alle Handlungen, Gefühle, Äußerungen, auch das Gefangensein in gesellschaftlichen Konventionen, gleichzeitig nebeneinander zu stellen, ohne sie zunächst miteinander zu verknüpfen. So werden Fontanes - trotz unterschiedlicher Lebensentwürfe noch in einem gemeinsamen Wertesystem handelnde - Figuren radikal voneinander getrennt. Sie kreisen auf ihrer eigenen Bahn und jede Berührung bedeutet Kollision.
Es ist genau diese Konstellation, die mich interessiert. Die Bühne steht modellartig für die aristokratisch-großbürgerlichen Häuser der Zeit mit ihren zahlreichen Innen- und Außentreppen. Diese Architektur war ganz auf die große Bedeutung der "Visiten" abgestellt und verschaffte den Besuchern theatralisch wirksame Auftritte. Die Protagonisten der Oper sind wie auf einem Laufsteg exponiert und bewegen sich auf einer Plattform, in der die kräftigen Farben Rot und Blau miteinander kämpfen. Wie in den alten viragierten Filmen stehen die Farben für Tag und Nacht, Liebe und Leidenschaft, Kälte und Tod. Da die Musik im Zentrum der Inszenierung steht, habe ich das Orchester als sichtbaren Akteur in die Mitte der Bühne platziert. Die Figuren sind besetzt mit vier sehr unterschiedlichen Sängerpersönlichkeiten, deren individuellen und einmaligen Fähigkeiten sowohl in der Musik wie auch der Darstellung Raum gegeben wird. Ihr Spiel ist nicht von psychologischen Motivationen geprägt, sondern von einer Dramaturgie, die die Konflikte strukturell an die Oberfläche trägt.
Salome Kammer bringt mit ihrem spektakulären Tonumfang eine Stimme ins Spiel, die auch die schwierigsten Partien mit äußerster Präzision bewältigt. Sie vermag so nicht nur die widersprüchlichsten Figuren zu verkörpern, sondern ihre Stimme selbst wird zum perfekten Instrument der Kollision. Arno Raunig ist weltweit einer der ganz wenigen Sopranisten. Durch seine vielgerühmte, glockenreine Stimme, mit der er brillant zwischen Barockoper und experimenteller Musik wechseln kann, artikuliert er auch die zartesten Gemütslagen seiner facettenreichen Bühnenfiguren. Christina Schönfeld ist eine gehörlose Gebärdensolistin. Sie führt die Sprache auf den Grund ihrer Zeichenhaftigkeit zurück. Sie ist das graphische Element. Mal wehmütig-zärtlich oder in strengen Konturen schreibt sie ihre Piktogramme in die Luft. Ingrid Caven schließlich ist eine der eigenwilligsten und intellektuellsten europäischen Chansonsängerinnen. Mit scharfem Witz und melancholischer Verletzlichkeit ist sie auf der Bühne die perfekte Inkarnation all jener brüchigen Figuren, die von ihrer Zerrissenheit wissen und diese dennoch bis zur Neige ausleben. Die Inszenierung der vier Protagonisten setzt so eine ebenso vielschichtige Stimm-, Sprach- und Gebärdendramaturgie in Szene, wie sie auch in der komplexen Farb-, Raum- und Lichtdramaturgie angelegt ist. Zusammen fügen sie sich zum ästhetischen Äquivalent einer experimentellen Musik, die nicht nur auf Harmonien, sondern auch Diskontinuitäten gründet.
Auszug aus: Ulrike Ottinger, Parallel-Texte
Direction and Stage design |
Ulrike Ottinger |
Conductor |
Wolfgang Ott |
Costumes |
Gisela Storch-Pestalozza |
Performers |
Ingrid Caven Salome Kammer Christina Schönfeld Arno Raunig |
Narrator |
Christopher Sprenger |
Ensemble musikFabrik Nordrhein-Westfalen |
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Accordion |
Gerhard Giel |
E-Gitar |
Jörg Wilkendorf |
E-Bass |
Daniel Göritz |
Sound concept |
Torsten Ottersberg |
Ligthing |
Jürgen Zoch |
Dramaturgy |
Jens Neundorf |
Further Information:
Ulrike Ottinger Filmproduktion
Fichtestraße 34
D-10967 Berlin
fon: +49-30-692 93 94
fax: +49-30-691 33 30
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Svenja Kalucke, Süddeutsche Zeitung 12.03.2001
Die Regisseurin und Bühnenbildnerin der Uraufführung, die Berliner Filmemacherin Ulrike Ottinger, führt virtuos die verschiedenen Kommunikationsebenen des Werkes zusammen: Gesang, Gebärdensprache und Sprechgesang. Elektroakustische Zuspielungen, Erzählerstimme, Hörspielelemente, Bildprojektionen impressionistischer und Edward Munch'scher Gemälde. Das alles diszipliniert sie in einer streng stilisierten, artifiziellen Ästhetik, in kühlen Bildern, mit bisweilen expressionistischen Posen und Stummfilm-Mimik der Darsteller.
Im Stil distanzierter Schau und in der Interpretation knüpft sie dabei an Rainer Werner Fassbinders Film "Fontane Effi Briest" von 1974 an. Fassbinder entdeckte an Fontane eine Widersprüchlichkeit, die er auch an sich selbst feststellte. Denn Fontane kritisiert zwar die lebensfeindlichen gesellschaftlichen Konventionen und Normen seiner Zeit, zugleich aber akzeptiert, festigt und bestätigt er sie auch in seinem Werk. So vergegenwärtigt Fassbinder den Schriftsteller und damit auch sich selbst 1980 leicht resigniert. Gegen diese Resignation verschärft Ottinger den Widerspruch. Sie zeigt ganz subtil, mit dezenten Momenten der Parodie und der Karikatur, mit untertemperierter Ironie und großem Ernst, dass Fontanes Roman auch ein Schmachtfetzen ist, der das Opfer Effi mit Trivialelementen verklärt. Die Brutalität der Gesellschaft und ihrer Familie nach Aufdeckung von Effis Ehebruch, Effis totale soziale Isolation, an der sie jämmerlich zugrunde geht, wird von Fontane überschönt, harmonisiert, versöhnt.
Eine Gesellschaftskritik mittels einer Kritik an der männlichen Kunst- und Literaturproduktion weiblicher Bilder im 19. Jahrhundert.
Stefan Keim, Die Welt, 13.03.2001
Die Regisseurin Ulrike Ottinger bringt mit klaren, mitfühlenden, manchmal dezent ironischen Bildern so viel Form in die Vielfalt, wie das Stück verträgt und der Zuschauer braucht. Die kleinteilige Komposition entfaltet sich als vielschichtiges Mosaik einer Frauenseele, und erst gegen Ende der zwiestünigen Aufführung wird der Kopf zu voll und der Abend zu lang. Über weite Strecken ist die Musik bedrohlich verhalten, schafft gesprenstische Stimmungen mit vibrierenden Dissonanzen und tonalen Einsprengseln, die gelegentlich in kurze Ariosi münden.
Pedro Obiera, Westfälischer Anzeiger, 13.03.2001
Das Libretto besteht zwar ausschließlich aus Originalzitaten des Romans, auch die Figauren und die Handlungsstränge bleiben erkennbar. Gleichwohl hebt sich das "musiktheatralische Psychogramm in vier Akten" weit über eine reine Vertonung des Stoffs hinaus. Gezeigt werden die Nervenstränge der zwischen Freiheitswillen und Zwängen zerrissenen Figuren. Die Musik vibriert wie ein klingendes Elektroenevephalogramm. Wenn Ingrid Caven die erschütternde Begegnung der verzweifelten Titelheldin mit ihrer Tochter rezitiert, stellt sich zwar Ergriffenheit ein. Sich mit einer der am Ende ausnahmslos unglücklichen Figuren identifizieren zu können, dazu bleibt keine Gelegenheit ... Alle zappeln im Spinnnetz einer Diktatur unmenscher Ehrenvorstellungen.
Das Ganze wirkt in Duktus und Gestik traumhaft entrückt. Ulrike Ottinger schuf eine perspektivisch verschachtelte Treppenlandschaft, in deren Zentrum die 18 Musiker der "musikfabrik Nordrhein-Westfalen" posieren. Gespenstisch schwerelos wandeln die Protagonisten über die Stufen. Ein ebenso schlichtes wie raffiniertes Bild.