In memoriam Tabea Blumenschein

Grabrede von Ulrike Ottinger
Eingeführt und gesprochen von Elfi Mikesch am 24. September 2020 auf dem St.-Matthäus-Kirchhof Berlin

„Sie, eine Frau von hoher Schönheit, geschaffen wie keine andere, Medea, Madonna, Iphigenie, Aspasia zu sein, beschloss an einem sonnigen Wintertag, ihrer Einsamkeit zu entfliehen und La Rotonda zu verlassen. Sie löste ein Ticket „Allez – Jamais Retour. Berlin Tegel“.

So beginnt im Jahr 1979 mein Film „Bildnis einer Trinkerin“, und die Frau von hoher Schönheit, für die ich diesen Text schrieb, war Tabea Blumenschein. Im Februar ist sie, die Tochter Banater Schwaben, mit 67 Jahren gestorben.
Tabea Blumenschein liebte die Verwandlung. Neun Jahre lebten und arbeiteten wir in den 70er-Jahren zusammen.
In hunderten von Fotosessions, in denen Alles in der Wohnung als Draperie und Requisite diente, loteten wir Möglichkeiten von Gestik, Haltung und Mimik aus. Schon im ersten Film „Laokoon und Söhne“, der die Verwandlungsgeschichte der Esmeralda del Rio erzählt, wechselt Tabea schnell ihre Rollen: von der Diva zum Matrosen, vom Dandy zum Hawaiimädchen, von der Piratenkönigin „Madame X“ zur „Trinkerin“.
Nur sie konnte so spielen, unbekümmert gegenüber allen Konventionen.
Und so hieß unsere erste Arbeit in Berlin, eine Performance in der Galerie Ars Media 1973: „Transformer- Deformer“.
Ihr Erscheinen auf der Leinwand und auch im Alltag auf der Straße löste große Faszination aus, ohne dass man genau beschreiben konnte, worin diese lag.
Für ihre exzentrischen Auftritte bot ich ihr besondere Spielstätten in den Filmen, seien es die trostlosen Trinkorte der zerrissenen Metropole, die Bühnenkulissen vor dem Meeresrauschen oder dichte Pflanzenwelten, in denen sie sich als Paradiesvogel bewegte.
Ihre Erscheinungen, vor allem die der Madame X und der Trinkerin, regten zu Projektionen an und machten sie zur Kultfigur der feministischen Bewegung und des Undergrounds.
Es folgten Irrwege, die selbstzerstörend waren, unter anderem in die rechtsextremistische Szene, an deren Schlusspunkt ihr Film „Zagarbata“ stand.
1983 spielte sie noch einmal in meinem Film „Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse“ an der Seite von Veruschka.
Nach ihrer Zeit bei der „Tödlichen Doris“ und im Kreis der „Genialen Dilettanten“ zog sie sich in ihre gezeichnete und gemalte Bilderwelt zurück, die vom poetischen Glitzern einer aus der Ferne grüßenden Diva erzählen.
Wir trafen uns weiterhin, um über ihre Zeichnungen und Bilder zu sprechen, von denen ich über die Jahre hin viele erwarb.
So ist eine Sammlung entstanden, die über ihren Tod hinaus besteht.
In den letzten Monaten habe mich intensiv mit diesem Vermächtnis von Tabea beschäftigt.
Daraus entstand ein Projekt, in dem ich ihre bildkünstlerischen Arbeiten mit meinen Fotografien von ihr aus der Zeit unserer Performance-Sessions zusammenbringe. Geplant ist ein Doppelband, in dem sich beide Perspektiven begegnen, und eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie 2022, der ich meine Arbeiten von Tabea schenken möchte.
Tabea wohnte seit der Wende in der Allee der Kosmonauten, ein Name, der wie eine Startrampe klingt zu einer unbekannten Reise ins All, wo Erdenschwere sich in Schwerelosigkeit verwandelt.

Wenn wir in den nächtlichen Himmel blicken, können wir ihr wieder begegnen, verwandelt in die schönsten Sternzeichen.

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