Portrait: Ulrike Ottinger | Foto: Anne Selders

Ulrike Ottinger wuchs in Konstanz am Bodensee auf, wo sie schon früh ihr eigenes Atelier eröffnete. Von 1962 bis Anfang 1969 lebte sie in Paris, arbeitete dort als freie Künstlerin und ließ sich im Atelier von Johnny Friedlaender in Radiertechniken ausbilden. Zeitgleich besuchte sie die Vorlesungen von Claude Levi-Strauss und Louis Althusser am Collège de France. Sie stellte unter anderem bei der Biennale internationale de l’estampe, Paris und in verschiedenen Galerien aus. Ulrike Ottinger kam über die bildende Kunst – Malerei, Fotografie, Performance – in den frühen 70er Jahren zum Filmemachen. 1966 entstand ihr erstes Drehbuch mit dem Titel ›Die mongolische Doppelschublade‹.

Nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik gründete sie 1969 in Konstanz den ›filmclub visuell‹ in Zusammenarbeit mit der Universität Konstanz, in dem sie internationale Independent Filme, den Neuen Deutschen Film und historische Filme zeigte. Gleichzeitig eröffnete sie die Galerie und Edition ›galeriepress‹, in der sie unter anderem Wolf Vostell, Allan Kaprow, Fernand Teyssier, Peter Klasen und englische Popartisten wie R. B. Kitaj, Joe Tilson, Richard Hamilton und David Hockney präsentierte. 1971–1973 realisierte sie ihren ersten Film ›Laokoon und Söhne‹ mit Tabea Blumenschein, der im Arsenal Berlin uraufgeführt wurde. 1973 zog Ulrike Ottinger nach Berlin und drehte die Happening-Dokumentation ›Berlinfieber – Wolf Vostell‹ (1973). Daraufhin folgte ›Die Betörung der Blauen Matrosen‹ (1975) mit Valeska Gert und der vom ZDF koproduzierte Piratinnenfilm ›Madame X – Eine absolute Herrscherin‹ (1977), der Aufsehen erregte und ein internationaler Erfolg wurde.

Ab 1979 entstand Ulrike Ottinger die ›Berlin-Trilogie‹: ›Bildnis einer Trinkerin‹ (1979), ›Freak Orlando‹ (1981) und ›Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse‹ (1984), mit Delphine Seyrig, Magdalena Montezuma, Veruschka von Lehndorff, Eddie Constantine und Kurt Raab sowie dem Komponisten Peer Raben. Die in Industriebrachen und verfremdeten Stadtlandschaften entstandenen Bilder griff sie in dem Kurzfilm ›Usinimage‹ (1987) erneut auf. Neben den Spielfilmen widmet sich Ulrike Ottinger auch dokumentarischen Filmprojekten, wobei sie für alle Filme eine gleich intensive und umfassende Recherche betreibt, die sich teilweise über viele Jahre erstreckt. ›China. Die Künste – Der Alltag‹ (1985) ist der erste in einer Reihe von langen Dokumentarfilmen, der auf einer ihrer zahlreichen Reisen durch Asien entstand. In der Mongolei drehte sie 1989 den Spielfilm ›Johanna d’Arc of Mongolia‹ und drei Jahre später den Dokumentarfilm ›Taiga‹, in dem sie Nomaden der nördlichen Mongolei auf ihren Wanderungen begleitete.

Neben ihren Fernreisen verfolgte sie in dem Dokumentarfilm ›Countdown‹ mit gleicher »ethnografischer« Aufmerksamkeit die Veränderungen in ihrer eigenen Stadt zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung. Nach dem Dokumentarfilm ›Exil Shanghai‹ (1997) führten sie weitere Reisen nach Südosteuropa, wo wiederum ein Dokumentarfilm und ein Spielfilm entstanden: ›Südostpassage‹ (2002) und ›Zwölf Stühle‹ (2004). Nach dem Dokumentarfilm ›Prater‹ (2007), der von Geschichten und Geschichte rund um den traditionsreichen Wiener Vergnügungspark erzählt, bereiste Ulrike Ottinger auf Einladung des IFFF Seoul, Südkorea wieder ein asiatisches Land und zeigte in ihrem dort entstandenen Dokumentarfilm ›Die Koreanische Hochzeitstruhe‹ (2009) ein Seoul zwischen Tradition und Moderne. Zum Jahreswechsel 2010/2011 drehte sie im japanischen Schneeland Echigo den Film ›Unter Schnee‹, der im Rahmen der Asien-Pazifik-Wochen 2011 am Haus der Kulturen der Welt uraufgeführt wurde. Parallel war dort ihre Ausstellung ›Floating Food‹ zu sehen.

Für ›Chamissos Schatten‹ (2016) reiste Ulrike Ottinger dreieinhalb Monate lang auf den Spuren großer Forschungsreisender des 18. und 19. Jahrhunderts durch die weit entfernten Regionen des Beringmeers. Entstanden ist ihr mit zwölf Stunden bislang längster Dokumentarfilm, begleitet von der Ausstellung ›Weltreise. Forster – Humboldt – Chamisso – Ottinger‹ in der Staatsbibliothek Berlin.
In ihrem jüngsten Werk ›Paris Calligrammes‹ verwebt Ulrike Ottinger ihre persönlichen Erinnerungen an die Pariser Bohème und die gravierenden sozialen, politischen und kulturellen Umbrüche der Zeit zu einem filmischen ›Figurengedicht‹ (Kalligramm). Der Film entstand zwischen 2017 und 2019 und wurde im Frühjahr 2020 uraufgeführt.

Daneben arbeitet Ulrike Ottinger auch als Regisseurin für Theater und Oper. Sie inszenierte ›Das Lebewohl‹ (Berliner Ensemble, 2000), ›Clara S.‹ (Staatstheater Stuttgart, 1983) und ›Begierde und Fahrerlaubnis‹ (Steirischer Herbst, Graz 1986) von Elfriede Jelinek, brachte ›Das Verlobungsfest im Feenreich‹ (Steirischer Herbst, Graz 1999) von Johann Nestroy auf die Bühne sowie ›Effi Briest‹ (Bundeskunsthalle, Bonn 2001) von Isis ter Schiphorst und Helmut Oehring. Zuletzt hatte ›Hommage à Klaus Nomi, A songplay in nine fits‹ von Olga Neuwirth, im Frühjahr 2008 am Haus der Berliner Festspiele Premiere. Die Bühnenbilder all der von ihr inszenierten Stücke entwirft Ulrike Ottinger selbst.

Darüber hinaus widmet sich Ulrike Ottinger seit Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn auch der Fotografie und setzt mit ihren Bildern, die meist im Vorfeld oder parallel zu den Film- arbeiten entstehen, eigene visuelle Akzente. Mit ihren fotografischen und filmischen Arbeiten war sie an großen Kunstausstellungen wie der Biennale di Venezia, der Documenta und der Berlin Biennale beteiligt.

Einzelausstellungen fanden unter anderem im Witte de With – Center for Contemporary Art Rotterdam, dem Museo Nacional Reina Sofia in Madrid, den Kunst-Werken Berlin, der Galerie David Zwirner in New York, der Hunterian Gallery in Glasgow, im NTU Center for Contemporary Art in Singapore, dem Berkeley Art Museum and Pacific Film Archive (BAMPFA) und der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden statt.

Ulrike Ottingers Drehbücher zu ›Madame X‹ und ›Freak Orlando‹ wurden 1978 und 1981 publiziert. 2005 erschien ihr Künstlerbuch ›Bildarchive‹, das ausgewählte Fotografien von 1975 bis 2005 versammelt. Es folgten weitere Künstlerbücher wie ›Floating Food‹ (2011), ›Ulrike Ottinger – Weltbilder‹ (2013), der Doppelband ›Weltreise. Forster – Humboldt – Chamisso – Ottinger‹ (2015), ›Chamissos Schatten‹ (2016), ›Paris Calligrammes‹ (2019), ›ZusammenSpiel‹ (2022) und ›Cosmos Ottinger‹ (2022).

Für ihr umfassendes Filmwerk erhielt Ulrike Ottinger zahlreiche Preise. Unter anderem den Preis der Publikumsjury Montréal, den Bundesfilmpreis (Visuelle Gestaltung) für ›Johanna d’Arc of Mongolia‹ (1989) und den Preis der deutschen Filmkritik für die Dokumentarfilme ›China. Die Künste – Der Alltag‹ (1986), ›Prater‹ (2008) und ›Chamissos Schatten‹ (2016) und 2020 die Berlinale Kamera im Rahmen der 70. Internationalen Filmfestspiele.
Ulrike Ottingers Filme wurden auf den wichtigsten internationalen Festivals gezeigt und vielfach in Retrospektiven gewürdigt, zum Beispiel im New Yorker Museum of Modern Art, in der Pariser Cinémathèque française, dem Centre Pompidou, der Biennale di Venezia, im Berkeley Art Museum and Pacific Film Archive (BAMPFA), auf dem Filmfestival DocLisboa, im Österreichischen Filmmuseum und in der Cinemateket Kopenhagen.
Seit 1997 ist Ulrike Ottinger Mitglied der Akademie der Künste, Berlin und seit 2020 ist sie Mitglied der Bayerischen Akademie der Künste. Am 6. Januar 2010 wurde ihr das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland überreicht. Ihr künstlerisches Gesamtwerk wurde 2011 mit dem Hannah-Höch-Preis der Stadt Berlin, 2021 mit dem Hans-Thoma-Preis des Landes Baden-Württemberg und 2022 mit dem Award for Avant-Garde-Achievements in Film im Rahmen von EnergaCameraimage im polnischen Torun gewürdigt. Die Concordia Universität Montreal verlieh ihr 2018 die Ehrendoktorwürde der Schönen Künste. Seit 2019 ist sie Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences.


Filmretrospektiven und Ausstellungen Auswahl

- documenta 10, 11 und 14, 1997/2002/2017
- Reina Sofia, Madrid, 2004 und 2019/20
- Centre Pompidou, Paris, 2010 und 2024
- Haus der Kulturen der Welt (HKW), Berlin, Floating Food 2011, Paris Calligrammes 2019
- Lenbachhaus München, 2016 und 2018
- NTU Centre for Contemporary Art Singapore, China The Arts and The People, 2017
- Retrospektiven MoMa, 2007, 2016, 2017 und 2019
- Berkeley Art Museum and Pacific Film Archive (BAMPFA), Ulrike Ottinger – Matrix 276, 2021
- Retrospektive Doc Lisboa, 2021
- Hans-Thoma-Kunstmuseum, Mongolia-Mexiko-Europa, 2021
- Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, Cosmos Ottinger, 2022
- Retrospektive Österreichisches Filmmuseum, Wien, 2022
- Berlinische Galerie, ZusammenSpiel, 2022
- Galerie Contemporary Fine Arts Basel, La Vie Quotidienne, 2023
- MACRO Museum of Contemporary Art of Rome, 2023

Preise / Ehrungen Auswahl

- Bundesfilmpreis für Johanna d’Arc of Mongolia, 1989
- Preis der deutschen Filmkritik für den besten Dokumentarfilm, China: Die Künste – der Alltag, 1985, Prater 2007, Chamissos Schatten 2016
- 2010: Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
- 2011: Hannah-Höch-Preis der Stadt Berlin
- 2018: Ehrendoktorwürde der Schönen Künste, Concordia Universität Montreal
- seit 1997: Mitglied der Akademie der Künste Berlin
- seit 2019: Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences
- seit 2020: Mitglied der Bayerischen Akademie der schönen Künste
- 2020: Berlinale Kamera, 70. Internationale Filmfestspiele Berlin
- 2021: Hans-Thoma-Preis des Landes Baden-Württemberg
- 2022: EnergaCameraimage: Award for Avant-Garde Achievements in Film
- 2024: Deutscher Dokumentarfilmpreis Ehrenpreis für ihr Lebenswerk


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